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Schwere Suche nach den Abschiedsritualen

Aachen. Das Seebeben in Asien hat nicht nur ganze Landstriche verwüstet, sondern auch viele Seelen zerrüttet. Mit Trauerfeiern versuchen die Menschen in Deutschland, dem Unfassbaren Ausdruck zu geben. Doch die schwierigste Trauerarbeit findet im Privaten statt.
Davon ist Trauerbegleiterin Gerda Palm überzeugt. Im Gespräch mit Redaktionsmitglied Alex Jung erläutert die Buchautorin und Diplompädagogin, die seit 17 Jahren Trauergruppen in Aachen leitet, warum der Schock so lange wirkt und welche Strategien der Verarbeitung es gibt.

Frage: Was macht die Situation für Angehörige von Menschen, die Opfer des Seebeben in Asien wurden, besonders schwer?

Palm: Das Plötzliche, das Unerwartete der Katastrophe. Für die Angehörigen gab es keine Möglichkeit, persönlich Abschied zu nehmen. Keine Möglichkeit, den Tod des Anderen mit allen Sinnen zu erfahren. Zu spüren, wie seine Haut kälter wird, die Stimme schwächer. Dass das nicht möglich ist, macht die Situation so schwer und lässt viele in einem Schockzustand zurück. Doch Trauerarbeit kann erst beginnen, wenn man den Tod des Angehörigen realisiert. Das geht gar nicht, wenn jemand noch als vermisst gilt: Dann halte ich mich an der Hoffnung fest, und wenn sie noch so klein ist. Manchen hilft es, in das Katastrophengebiet zu fahren. Da wird der Tod greifbarer als aus der Distanz. Das kann ein wichtiger Impuls sein, ein erster Schritt, da rauszukommen.

Frage: Gibt es Ersatzformen des Abschiednehmens?

Palm: Ja, es gibt Formen, den Abschied nachträglich zu vollziehen.Dazu gehören Abschiedsfeiern in der Familie oder mit Freunden. Es hilft auch, Erinnerungen zu schaffen. Eltern, die ihre Kinder verloren hatten, haben in der Gruppe zum Beispiel einen Trauer-Quilt genäht. Dafür hat jeder ein Kleidungsstück seines Kind mitgebracht und einen Teil davon verarbeitet. Wichtig ist auch, dass man sich Orte der Trauer schafft. Ich halte Gedenkstätten auf Friedhöfen für die Flutopfer für sinnvoll, weil ja die meisten Angehörige keinen Leichnam haben, den sie bestatten können. Und daher auch kein Grab, das sie besuchen können.

Frage: Welche Reaktionen lösen die Fernsehbilder von dem Seebeben und den öffentlichen Trauerfeiern bei den Betroffenen aus?

Palm: Ich glaube, das ist individuell ganz unterschiedlich. Die Bilder können Trost sein, weil ich sehe: Ich bin mit meinem Schmerz nicht allein, vielen anderen geht es ähnlich. Es kann aber auch sein, dass man die Bilder gar nicht erträgt. Die Leichenberge sind ja auch sehr drastisch. Wem das zu viel ist, der schottet sich noch mehr ab.

Frage: Wie können Sie helfen?

Palm: Indem ich signalisiere: Da ist jemand, der alle Gefühle zulässt – Schuld, Wut, auch Hass. Das ist im Umfeld der Betroffenen oft nicht möglich, da sie Rücksicht nehmen auf ihre Kinder oder den Partner. Den Verlustschmerz kann ich als Beraterin oder Therapeutin nicht mindern, ich kann den Trauernden nur begleiten.

Frage: Woher kommen Schuldgefühle?

Palm: Man kann noch so viel für einen Verstorbenen getan haben – man glaubt immer, es war nicht genug. Als hätte man den Tod verhindern können. Die Schuldgefühle nehmen ein Stück von der Ohnmacht. Sie suggerieren: Ich hätte noch etwas ändern können.

Frage: Fällt es heute vielen schwer, sich in ihr Schicksal zu fügen?

Palm: Auf jeden Fall. Wir haben das Gefühl, alles kontrollieren zu können. Früher waren die Menschen schicksalsergebener. Da war es aber auch leichter, den Tod nachzuvollziehen und Abschied zu nehmen. Der Tod war alltäglicher, er fand in den Familien und nicht in Kliniken oder Heimen statt. Auch das früher übliche Aufbahren der Leichen half, die Situation zu akzeptieren. Wer weiß denn heute noch, dass das Aufbahren zu Hause immer noch möglich ist?

Frage: Wie lässt sich Kindern der Tod eines Angehörigen vermitteln?

Palm: Das geht besser, als die meisten glauben. Kinder haben es oft leichter, weil sie sich in der Fantasie eine eigene Lösung suchen. Davon können wir Erwachsene eine Menge lernen. Kinder von der Trauer – etwa einer Beerdigungsfeier – auszuschließen, ist der größte Fehler, den man machen kann. Ich bin überzeugt davon, dass man mit dem Thema Tod offen umgehen sollte. Kinder haben ein gutes Gespür dafür, sich selbst zu schützen. Sie trauern auch nicht dauernd, sondern etappenweise. Und zwischendurch, beim Spielen, vergessen sie alles Traurige. Darauf haben sie auch ein Recht.

Aachener Nachrichten, 12.01.2005 23:09 Uhr